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Wilhelm Mall, der musikalische Krautschneider


In einer archivierten Ausgabe im "Pforzheimer Anzeiger" vom 9. November 1935 fanden wir einen Bericht übers (Sauer-)Krautschneiden in Königsbach.

Zur Geschichte des Sauerkrauts ist zu sagen, dass es in Deutschland zwar eine große Tradition hat, aber eine eine deutsche Erfindung ist es nicht. Bereits beim Bau der Chinesischen Mauer im 3. Jh. v. Chr. haben sich die chinesischen Handwerker vorwiegend von gesäuertem Kohl und Reis ernährt. Den Überlieferungen zu Folge brachten Mongolenstämme und Tataren das Sauerkraut von China in den Westen. Auch der griechische Arzt und Philosoph Hippokrates (466-377 v. Chr.) beschrieb in seinen Schriften das Sauerkraut als Heil- und Lebensmittel und auch die Römer sollen das gesunde Gärgemüse geschätzt haben.
In Europa wurde der Kohl als Kulturpflanze vor allem durch die Klostergärten weiter verbreitet. Sauerkraut ist über viele Jahrhunderte hinweg bis heute ein wichtiger Bestandteil der deutschen Küche. Industriell wird Sauerkraut bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts hergestellt.

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FKSG-04386. Der junge Wilhelm Mall mit seiner Trompete (Original Margit Kern)

Der musikalische Krautschneider.
Eine Königsbacher Erinnerung an die Sauerkrautzeit.

Der alte Königsbacher Krautschneider – ja, der ist schon lange tot. Aber wer ihn gekannt hat, der freut sich, wenn wir ihm hier ein kleines Denkmal setzen. Die Zunft der Krautschneider stirbt bald aus. Die Maschinen haben ihnen das Brot genommen. Auf den Gemüsemärkten stehen Krauthändler mit ihren Maschinen, drehen das Schwungrad und die Hausfrau steht dabei und läßt sich ihren Bedarf an Filderkraut einschneiden. Der Großhändler hat im Hof sogar die elektrisch betriebene Maschine. Doch dabei ist keine Poesie.

Das war anders, wenn der Krautschneider zu uns kam. Wenn die Kartoffeln geerntet werden, kommen gleichzeitig die Krautköpfe im Wagen mit heim. Es war immer eine Freude, wenn wir den Krautschneider bestellen konnten. Er war nämlich Trompeter, stand bei der Feuerwehr neben dem Hauptmann als Hornist, und mehr als einmal weckte sein schrilles Feuerzeichen des Nachts die Einwohner von Königsbach aus dem Schlaf. Mit seinem Bruder und seinem Sohn bildete er zusammen eine Musikkapelle. War sie auch klein, so spielte sie doch flotte Märsche, wenn früher am Sedanstag (Gedenktag im Dt. Kaiserreich zur Erinnerung an die Kapitulation der franz. Armee am 2. Sept. 1870 nach der Schlacht bei Sedan) oder ähnlichen Anlässen der Verteranen- und Militärverein geschlossen zum Festgottesdienst marschierte.OB KW22 OGK 04385 fb

Dieser musikalische Mann war der Krautschneider des Dorfes – und er verstand sein Handwerk. Nicht zu fein und nicht zu grob, schöne Fasern und nicht zu viel der harten Dorschen. Schon stand im Keller, im Hof oder in der Küche der Holzzuber bereit. Wer ein weißes Laken auf dem Zuberboden bereitete und an den Wänden hochlegte, wurde von dem umsichtigen Krauthobler gelobt. Denn anderenfalls könnte das Kraut am Ende etwas von dem seifigen Geruch des Waschzubers annehmen – und dann bekäme er die Schuld. Über den Zuber kam sein langer Krauthobel zu liegen, mit dem Rahmen und Kasten, auch Rutscherle genannt, der in seinen Eisenschienen hin- und hertanzte.

War alles so vorbereitet, dann pfiff der allzeit lustige, gesprächige Trompeter das Angriffssignal. Aus dem Köcher an seinem Gürtel zog er den Krautbohrer, ein halbrund gebogenes, beiderseits scharfes breites Messer mit festem Stiel zum Ausstecken und Ausbohren der "Dorschen", also des inneren harten Stengels im Krautkopf. In das Rutscherle legte er einen der Krautköpfe. Hin und her über den Scharfen, feststehenden Messern schob sich der Krautkopf, dass wir Buben fast um die Finger des Krautschneiders fürchteten. Vor allem, wenn das Krautstück immer niedriger wurde. Doch geschickt schob er einen neuen dazu. Wieviele Male tanzte das Holzkästlein hin und her, bis alle "Häupter" geschnitten waren. Von Zeit zu Zeit nahm er eine Handvoll des geschnittenen Krautes aus dem Zuber, um die Feinheit zu prüfen. So machte er im Dorf die Runde, begehrt wegen seiner Fertigkeit und seines Humors, denn er wußte immer ein Späßlein anzubringen und manche Mark floss so in seine Tasche. 04387 fb

Fiel eine Krauternte schlecht aus, dann blies er sich auf seiner Trompete die Unlust vom Herzen. So wie das heute (1935) das Filderkraut von den Fildern durch die Lande geführt wird, war es damals nicht. Die Ernte auf dem eigenen Acker musste den Bedarf decken. Die elektrischen Maschinen zum Ausbohren und zum Einschneiden haben Hand-Krautschneider das Handwerk gelegt. Das "Krautrutscherle" verschwindet so nach und nach. Eine Erinnerung bleibt: Wenn unser Krautschneider - er trug den Namen Mall - mit großen Schritten durch das Dorf ging, seinen langen Krauthobel unter dem Arm oder an der Schulter hängend, dann hörte man seine helle Stimme von Weitem. Wie vielen Familien im Dorf hat er so in langen Jahren zu einem guten Mittagessen verholfen. Namentlich des Sonntags war es in früheren Zeiten Sitte, Sauerkraut auf den Tisch zu bringen. Das kochte alleine, während die Hausfrau in der Kirche war. Soll es doch, wie von einer Pforzheimer Hausfrau erzählt wird, vorgekommen sein, dass sie in der Eile ihr Gesangbuch in den Kochhafen mit Sauerkraut steckte und sich mit dem Dörrfleisch in der Hand auf den Weg zur Kirche machte ... !

Der "Krautschneider" Wilhelm Mall (*1861 †1930) war von Beruf Schuhmacher und Krämer. Er wuchs in einer musikalischen Familie auf, spielte Ostern 1876, 15jährig, mit Vater und Brüdern zum ersten Mal zum Tanz auf. Erste Musikkenntisse erhielt er vom Steiner Dreher Friedrich Müller. Sein Vater, der Weber Johannes Mall und dessen Bruder Wilhelm bildeten mit ihren Söhnen und dem Maurer Heinrich Hoch eine Kapelle, aus der im Dezember 1912 der Königsbacher Musikverein entstand. Schuhmacher Mall war mit Regina Magdalena Weiß (*1864 †1929) verheiratet. Das Paar hatte acht Kinder, wobei vier davon im Säuglingsalter starben und der erstgeborene Sohn taubstumm zur Welt kam. Der im Artikel erwähnte Sohn hieß ebenfalls Wilhelm (*1900 †1969) und war der Vater des kürzlich verstorbenen Bernhard Mall (Schillerstraße).

Mitte rechts: FKSG-04385. Die Musikalische Familie Mall
Unten links: FKSG-04387. Der Musikverein in seinen Anfängen auf dem Turnplatz. Auf dem Turnplatz stand damals eine Scheune, erst 1935 wurde die Festhalle gebaut. Im Hintergrund das Gasthaus zum Anker. (Originale Margit Kern)